Mein erster Geburtstag

von Heinz Grabher

Süleyman Kurt hat gut lachen! Auf der Aussichtsterrasse beim Karren in Dornbirn. Im Hintergrund Wald, im Vordergrund das strahlende Lachen von Sülo.
Süleyman Kurt hat gut lachen! Auf der Aussichtsterrasse beim Karren in Dornbirn. Im Hintergrund Wald, im Vordergrund das strahlende Lachen von Sülo.

Süleyman Kurt feiert am 1. Juli 2011 seinen ersten Geburtstag in seinem Selbstbestimmten Leben. „Neben den Freuden der Freiheit meldeten sich auch die Leiden der Pflichten“, berichtet Sülo. Zurück ins Wohnheim möchte er nicht mehr.

Sülo ist von Geburt auf Spastiker. Er benötigt zur Fortbewegung einen Elektrorollstuhl und organisiert sein Leben mit Persönlicher Assistenz.
Bis zu seinem 20. Lebensjahr wohnte er bei seinen Eltern. Dann zog er in ein Lebenshilfe-Wohnhaus und wurde dort gut umsorgt und gepflegt. Seit dem 1. Juli 2010 lebt er in seiner eigenen Wohnung.

„Was koche ich heute? Wo kaufe ich ein? Wie wasche ich meine Kleider? Wenn ich in der Lebenshilfe geblieben wäre, hätte ich nie diese Erfahrungen gemacht“, erinnert sich Süleyman Kurt an sein erstes Jahr Selbstbestimmtes Leben. Das Gefühl der Freiheit brachte eine unglaubliche Leichtigkeit in sein Leben. Er beschreibt seine neue Lebensfreiheit so: „Ich habe so viele Möglichkeiten etwas zu tun oder nicht zu tun! Das bedeutet für mich, nicht nur entscheiden zu können – die Rechte der Freiheit, sondern auch entscheiden zu müssen – die Pflichten der Freiheit.“
Nun organisiert er sein Leben selbst. Er wäscht seine Wäsche mit Ariel und gibt Weichspüler dazu, denn „das gibt meiner Wäsche einen guten Duft – und das liebe ich“, berichtet Sülo. Er entscheidet über seinen Speiseplan und auch darüber, wann er essen wird. Sülo gibt Aufträge an seine Persönlichen AssistentInnen, erarbeitet mit ihnen den Assistenzplan jeden Monat.

„Manchmal vor allem in den ersten Monaten geriet ich in Stress, denn ich habe mir in meinem vorigen Leben keine Gedanken machen müssen über einen Speiseplan, einen Einkaufsplan, einen Assistenzplan“, erinnert sich Sülo, „andere Leute kümmerten sich darum.“

Seit sich Sülo selbst um sein Leben kümmert, ist sein Selbstbewusstsein gestiegen. „Vor allem auch durch überstandene Niederlagen“, meint Sülo. „Allein die Möglichkeit etwas ausprobieren zu können ist für mich ein Glück, eine Freude. Und ich habe gelernt, dass das Leben weitergeht, auch wenn ich etwas nicht erreiche.“

Niederlagen erlebte Sülo bei der Kommunikation mit den Planern und Handwerkern in seiner Vogewosi-Wohnung. Es wurde vereinbart, dass der Lift automatisch in sein Stockwerk fährt, wenn Sülo mit seinem Rollstuhl ankommt. Oder dass das Waschbecken so installiert wird, dass Sülo mit seinem Elektrorollstuhl zum Zähneputzen ran fahren kann. Bis heute und nach mehr als zwanzig Email- oder Telefonkontakten hat sich nichts geändert. „Es kommt mittlerweile auf eine Anfrage von mir keine Antwort mehr“, wundert sich Sülo. „Ich werde weiterkämpfen, bis ich meine Wohnung so eingerichtet habe, dass ich gut darin leben kann.“

In diesem Jahr lernte Sülo eine Frau kennen, mit der er ein halbes Jahr lang eine Liebesbeziehung führte. „Mit allen Höhen und mit der Tiefe der Trennung“, denkt Sülo an diese schöne und nach der Trennung bittere Zeit zurück.

Dass Beziehungen und Freundschaften gepflegt werden müssen, daran arbeitet Sülo. „Ich habe mich von meinen Emotionen leiten lassen und schnell eine Einladung zu einem Fest bei mir Zuhause per Email versandt, an alle Leute die ich kannte. Das Fest wäre in vier Tagen gewesen und niemand ist gekommen. Da habe ich bemerkt, dass ich einige Leute nicht auf der Einladungsliste hatte. Und dass an diesem Wochenende Pfingsten war und viele Leute schon Familientermine hatten. Das nächste Mal werde ich die Feier besser vorbereiten!“

An diesem Wochenende hat sich Sülo einsam gefühlt, ein Gefühl, das Sülo nicht gut kennt. „Manchmal fühle ich mich einsam in der Wohnung. Ich habe 43 Jahre lang entweder mit meinen Eltern gewohnt oder mit anderen Menschen mit Behinderung. Früher war ich nie allein in der Wohnung. Das ist auch ein schönes Gefühl. Aber manchmal ist die Einsamkeit auch traurig.“

Auf die Frage, was denn in seinem Leben überwiegt, die Freuden oder die Leiden, meint Sülo: „Das ist nicht die entscheidende Frage für mein Leben. Entscheidend ist für mich, ob ich mein Leben selbst bestimmen kann. Dann kann ich mein Leben gestalten. Mit mal mehr oder weniger Freud oder Leid, so wie jeder andere auch. Zurück ins Heimleben möchte ich nicht mehr.“

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