Marianne Schulze in Vorarlberg

von Heinz Grabher

Foto: Werner Micheli. Starker Auftritt von Reiz - Selbstbestimmt Leben beim Vortrag von Marianne Schulze in Bregenz. Im Vordergrund fünf RollstuhlfahrerInnen. Dahinter u.a. Marianne Schulze, Hermann Böckle, Gabriele Nußbaumer, Markus Wallner.
Foto: Werner Micheli. Starker Auftritt von Reiz - Selbstbestimmt Leben beim Vortrag von Marianne Schulze in Bregenz. Im Vordergrund fünf RollstuhlfahrerInnen. Dahinter u.a. Marianne Schulze, Hermann Böckle, Gabriele Nußbaumer, Markus Wallner.

Am 27. April lud das Land Vorarlberg alle Behindertenorganisationen Vorarlbergs zu einem Gespräch mit der Leiterin des Monitoringausschusses Marianne Schulze. Claudia Fessler und Süleyman Kurt holten mit ihren Statements die allgemeine Zustimmung der Anwesenden.

Integration Vorarlberg, ÖZIV, VBSV, LZH, Lebenshilfe, Caritas, IfS, Reiz - Selbstbestimmt Leben und andere Vereine aus der Behindertenarbeit, ließen sich die Gelegenheit zum Gespräch mit Marianne Schulze nicht entgehen. Nach einer kurzen Vorstellungsrunde möchte Süleyman Kurt wissen, ob die Schulpflicht nur für Menschen ohne Behinderung gilt. Er durfte die Schule nicht besuchen, obwohl er gerne gegangen wäre. Marianne Schulze macht deutlich: „Die Schulpflicht gilt seit Maria Theresia für alle Menschen. Da gibt es keine Ausnahme.“

Sonderschulen
Problematisch sieht Schulze die Einrichtung von Sonderschulen: „Die Schule muss zum Wohle des betroffenen Kindes sein. Und da hat es eine Zeit gegeben, da dachten viele Menschen, in Sonderschulen kann mehr für das Wohl der behinderten Kinder geleistet werden.“ Der Monitoringausschuss hat im vergangenen Jahr mit seiner Stellungnahme für die Abschaffung der Sonderschulen, große Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit bekommen.

Ingrid Rüscher von Integration Vorarlberg weiß, „wie die Sonderschulen aufgerüstet haben, seit Integration Vorarlberg in den Schulen tätig ist. Und das Argument, die Eltern brauchen die Wahlfreiheit zwischen Integration in der Regelschule und Sonderschule, stimmt nicht – es ist keine Wahlfreiheit.“ Auch Marianne Schulze sieht in der Wahlfreiheit zwischen Sonderschule und Integration in der Regelschule eine problematische Lösung.

In der Diskussion kommt immer wieder das Argument, dass die Sonderschulen ja nur für das Wohl des betroffenen Kindes sind. Wohl wird dabei oft verwechselt mit Ressourcen­maxi­mierung – das hat jedoch nichts mit Inklusion zu tun.

Das Wohl des betroffenen Kindes
„Das Argument ‚Es geschieht ja zum Wohl des Kindes‘ habe ich oft gehört“, berichtet Claudia Fessler. „Mittlerweile macht mir dieses Argument fast schon Angst. Und ich frage mich: Gibt es eine genauere Beschreibung, was ‚das Wohl des Kindes oder des Betroffenen‘ ist?
Marianne Schulze gibt den Hinweis, dass in den Erläuterungen der UN-Konvention genauer definiert ist, was der Begriff bedeutet.

Was kostet Diskriminierung
Die unmögliche Finanzierung der Inklusion ist ein oft benutztes Argument. „Dabei gibt es eine noch nicht veröffentlichte Studie der Weltbank, die belegbar zum Schluss kommt: Exklusion ist viel teurer als Inklusion“, berichtet Marianne Schulze. Sie sieht in der Finanzierung beider Schienen gleichzeitig – Inklusion und große Einrichtungen – ein großes Problem. „Und der Grundton der UN-Konvention lautet: Selbstbestimmt Leben möglich zu machen“, so Schulze.

Die Diskussion ums Geld kommentiert Süleyman Kurt so: „Also mir geht es nicht ums Geld! Persönliche Assistenz bedeutet ja vor allem mehr Lebensqualität! Das ist das Argument für die Inklusion, für die Persönliche Assistenz.“ Dieses Zitat übernimmt Marianne Schulze für die öffentliche Sitzung des Monitoringausschusses in Innsbruck.

Unglücklich Integriert
Der Vertreter der Lebenshilfe Patrick Fürnschuß gibt zu bedenken, dass integrative Arbeitsplätze nicht immer glücklich machen. Er kenne Betroffene, die an ihrem Arbeitsplatz gemobbt würden und meint, dass es in den geschützten Werkstätten für Menschen mit Behinderungen leichter sei. Für Süleyman Kurt, der jahrelang in einer Lebenshilfewerkstätte gearbeitet hat, gilt dieses Argument nicht, denn „Mobbing passiert auch in der Lebenshilfe Werkstätte.“

Behinderung ist kein Unglück
Dass es auch vielen Nichtbehinderten an ihrem Arbeitsplatz nicht gut geht, sieht Claudia Fessler. „Es geht doch allen Menschen gleich, egal ob behindert oder nicht. Das Unglück kommt nicht von der Behinderung. Wenn ich aber beim Job gemobbt werde oder nicht Selbstbestimmt Leben kann – das ist ein Unglück.“

Claudia Fessler gibt Patrick Fürnschuss recht, dass sich niemand eine Behinderung wünscht. „Behinderung ist kein Glück, das ist schon richtig. Behinderung ist aber auch kein Unglück. Es ist im Kopf, in der Phantasie der Menschen, dass Behinderung etwas Schlechtes ist. Für mich als Betroffene ist meine Behinderung nicht schlecht und sie ist auch nicht gut. Sie ist was sie ist und ich lebe damit.“

Hier konnten sich die SitzungsteilnehmerInnen nicht mehr zurückhalten und alle applaudierten!

Nach diesem Gespräch gab es eine Pause und am Abend stellte die Vorsitzende des Monitoring-Ausschusses zur Umsetzung der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen, Marianne Schulze, die Grundzüge der Konvention einem größeren Publikum vor.

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