Wie der Krüppelball entstand

von Reinhard Zischg

Ein Blick ins Publikum beim ersten Krüppelball 2006.

Ein dreifaches Krüppel, Krüppel, roll roll roll grölten Narren mit und ohne Behinderungen am 11. Februar 2006 zum ersten Mal durch die Hallen der Otten Gravour in Hohenems

Das darf man doch nicht! Die müsste man anzeigen oder das müsste man verbieten! Waren nur einzelne kritische Stimmen aus der Vorarlberger Bevölkerung. An den Stammtischen, den Arbeitsstellen und in den Familien Vorarlbergs wurde diskutiert und geschumpfen wie schon lange nicht mehr über „die Behinderten“. Eigentlich ja nicht über die Behinderten, sondern über die Reizler, die diesen Ball zusammen mit ein paar verrückten Nichtbehinderten vom Treffpunkt für Menschen mit und ohne Behinderungen organisiert hatten.

Der Vorarlberger Krüppelball ist auch nach über zehn Jahren ein heiß diskutiertes Thema und viele würden dem Ball gerne einen anderen Namen geben. Sie wollen den Ball nicht abschaffen, nein, weil eines ist klar, der Krüppelball ist zu einer Einrichtung geworden, bei der die Besucher und die Besucherinnen einen Mordsspaß haben und die sie nicht missen möchten.

Zu viert sind wir damals im Sommer 2005 in meinem Garten gesessen, um das Herbst/Winterprogramm 2005 für den Treffpunkt für Menschen mit und ohne Behinderungen zu gestalten. Dabei haben wir auch darüber nachgedacht ein kleines Faschingsfest zu organisieren, bei dem sich ein bunter Haufen Vielfalt zum Feiern treffen kann. Ideen zum Programm waren gleich gefunden und wann die Fete stattfinden soll, war auch gleich klar. Aber wie sollten wir das Ding nennen? Da ist uns zuerst nicht allzu viel dazu eingefallen. Nachdem dann andere Punkte der Tagesordnung dieser Sitzung abgehandelt wurden kam ich noch einmal auf den Namen zurück und schlug vor, „Nennen wir den Ball doch einfach Krüppelball!“. Meine beiden behinderten Kollegen Andreas und Eberhard waren begeistert. Josef, unser Sozialarbeiter, war etwas zurückhaltend und skeptisch. „Glaubst du schon, dass wir den Ball so nennen können?“ „Ist das nicht zu krass? Meinte er, wobei er dabei etwas verlegen schmunzelte. Und ich habe gemerkt, dass er sich unwohl bei dieser Idee gefühlt hat. Wir haben uns dann nicht fix auf den Namen geeinigt und vereinbart, dass wir diesen Punkt später nochmals diskutieren würden.

Einen Monat später, beim nächsten Treffpunkt im Gasthaus Gütle, haben wir das Thema Krüppelball dann wieder aufgenommen und weiter besprochen. Erst nachdem ich mit Unterstützung von Eberhard den Treffpunkt Besucherinnen den Begriff „Krüppel“ ausführlich erläutert habe und ihnen über die Krüppelbewegung, der Vorgängerbewegung der deutschsprachigen Selbstbestimmt Leben Bewegung erzählt habe, haben wir dann endgültig beschlossen beim diesem Namen zu bleiben. Somit stand dem ersten Krüppelball am 11. Februar 2006 nichts mehr im Wege. So glaubten wir zumindest, denn was dann folgte hätten wir uns nicht im Traum einfallen lassen. Mehrere Medienauftritte, wüste Beschimpfungen, Anerkennung und eine Menge Spaß, und das bis heute, sind der Dank für den Mut von engagierten Menschen mit und ohne Behinderungen.

Was uns immer noch erstaunt ist, dass nach über zehn Jahren immer noch kritisch über den Namen Krüppelball diskutiert wird. Deshalb möchte ich für alle, die immer noch Probleme mit dem Namen haben genauer ausführen, warum uns dieser Ball so wichtig ist und weshalb sich niemand vor dem Begriff Krüppel fürchten muss. Zuerst will ich den Begriff „Krüppel“ genauer definieren.

Der Ausdruck Krüppel bezeichnet ursprünglich einfach nur einen in seiner Bewegungsunfähigkeit körperlich dauerhaft beeinträchtigten Menschen. Auch jemand, dem von Geburt an oder durch äußere Einwirkungen Gliedmaßen fehlen, wird als verkrüppelt bezeichnet. Der Ausdruck Krüppel im Deutschen stammt von dem mittelniederdeutschen „kröpel“ „der Gekrümmte“, welches ein Erbwort aus dem altsächsischen „krupil“ ist und welches aus dem urgermanischen „krupilanz“ (dazu tendieren oder dazu neigen zu kriechen) kommt.

Das Wort Krüppel im herkömmlichen Sinne bezeichnet in dem Fall eine Eigenschaft eines Menschen mit einer Behinderung und ist nicht negativ zu sehen. Erst das, was wir als Gesellschaft in dieses Wort hineininterpretiert haben, ist diskriminierend und abwertend. Ich, als Mensch mit einer körperlichen Beeinträchtigung, bin zuerst Mensch wie jeder andere Mensch dieser Gesellschaft auch. Meine Behinderung ist ein Teil meiner gesamten Persönlichkeit, mit all meinen Stärken und Schwächen. Menschen mit Behinderungen wollen gleichberechtigt, als ebenbürtige Partner in der Gesellschaft, leben. Menschen mit Behinderungen, „Gekrümmte“, „Krüppel“ sind Teil unserer Gesellschaft. Nicht wie Menschen mit Behinderung genannt werden, sondern wie sie gesehen und behandelt werden, ist wichtig.

Wir brauchen Gesetze, die Menschen mit Behinderung eine Gleichstellung in der Gesellschaft gewähren. Wenn solche Gesetze beschlossen werden, dann sind Wortklaubereien darüber wie wir unsere Mitbürger mit Behinderungen nennen, unnötig.

Die Krüppelbewegung hat in den Jahren 1970 bis 1981 das Wort Krüppel selbstbewusst im Sinne eines Geusewortes für sich in Anspruch genommen. Als Geusenwort oder Trotzwort wird in der Sprachwissenschaft ein Wort bezeichnet, das ursprünglich eine Personengruppe beschimpfen sollte, von dieser jedoch mit einer durchwegs positiven Bedeutung oder Eigenschaft besetzt wird.

„Wir sind Menschen mit einer Behinderung, mit einem körperlichen oder einem intellektuellen Gebrechen. Und diese Behinderung, diese Einschränkung gehört untrennbar, sowie unser Fingerabdruck, zu uns. Das ist in Ordnung. Wir sind gut so, wie wir sind. Wir sind nicht besser oder schlechter wie jeder andere Mensch in unserer Gesellschaft auch. Ich bin Krüppel. Dazu stehe ich. Das ist o. k.“

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