Wenn einer eine Reise tut dann kann er was erleben

von Heinz Grabher

Sueleyman Kurt mit seinem Elektrorollstuhl an der Bushaltestelle in Dornbirn. Ein gelber Vorarlberger Landbus kommt gerade an.
Sueleyman Kurt mit seinem Elektrorollstuhl an der Bushaltestelle in Dornbirn. Ein gelber Vorarlberger Landbus kommt gerade an.

Süleyman Kurt ist ein 46-jähriger Mann. Er ist Spastiker, hat einen Job, lebt seit vier Jahren in einer eigenen Wohnung und regelt sein Leben mit Persönlicher Assistenz. Er hat zwei Bücher geschrieben. Sein Fortbewegungsmittel sind seine eisernen Beine – ist sein Elektrorollstuhl. Mit ihm steigt er auch in Busse ein oder in die Bahn und geht auf Reisen – und so eine Reise wird manchmal ein unangenehmes Erlebnis.

„Am Mittwoch den 16. Oktober machte ich mich mit meiner Persönlichen Assistentin auf den Weg nach Nenzing und wartete am Bahnhof Dornbirn-Schoren auf den Regionalzug“, erzählt Süleyman Kurt. „Ich habe mir meinen Anzug angezogen, denn ich hatte eine Einladung zum moslemischen Opferfest und war erfüllt mit großer Vorfreude! Dann (14:55 Uhr) kam der Zug und ich wollte einsteigen wie schon so oft.

Der Lokführer fragte mich, wohin ich fahren wollte. ‚Nach Nenzing‘, sagte ich. Überraschenderweise antwortete der Lokführer mir, ich hätte meine Fahrt anmelden müssen. Das war mir neu. Ich hatte noch in Erinnerung, dass es irgendwann ein Schlichtungsverfahren zwischen einer Rollstuhlfahrerein und der ÖBB gegeben hatte. An Details konnte ich mich nicht mehr erinnern, aber ich wusste, dass die Anmeldung für eine Einstiegshilfe in den Zug nicht mehr gemacht werden muss. Also bestand ich darauf, dass ich ohne Anmeldung mitfahre. Der Lokführer ließ uns auch einsteigen.

In Nenzing auf dem Bahnsteig angekommen sehe ich dann, was der Lokführer gemeint hat. Ich komme zwar aus dem Zug auf den Bahnsteig, doch dann ist Endstation. Es gibt keine Rampe und kein Lift, nur Treppenstufen. Das hatte ich nicht gewusst.

Da ich bisher nur Bahnhöfe frequentiert habe, die barrierefrei sind, dachte ich gar nicht mehr daran, dass es noch Bahnhöfe gibt, die nur über Treppenstufen zu erreichen sind.

Der Lokführer ist mir bis zur Treppe gefolgt und hat dann gemeint: ‚Ich hab‘s ja gesagt!‘
Nun gut, ich musste weiter und einigte mich mit dem Lokführer, dass ich bis zur nächsten Station die barrierefrei ist mit dem Zug fahre. Also machte ich mich wieder auf den Weg, um in den Zug einzusteigen.

In dem Moment kam eine Frau her und fragt: ‚Was ist da los? Was will der da?‘
Der Lokführer erklärt ihr, was Sache ist und die beiden reden über mich, obwohl ich neben ihnen stehe. Für mich ist es unangenehm, wenn Menschen neben mir über mich reden, als ob ich nicht hier wäre. Und als Höhepunkt sagt die Frau zum Lokführer: ‚Schieb ihn einfach in den Zug, egal ob er schreit oder nicht!‘

‚Oha!‘ dachte ich. Und heiß ist mir geworden und ein bisschen übel auch, denn ich hatte das Gefühl, dass meine Meinung jetzt nicht mehr viel zählt. Außerdem brauche ich lange, um mich mit Worten zu wehren, da ich auch eine Sprachbehinderung habe. Aber die beiden haben mich mit ihrer Wortlawine völlig überrollt.

Ich bin jedenfalls in den Zug eingestiegen ohne zu schreien.
Obwohl: ich hätte schreien können vor Ohnmacht.

In Ludesch bin ich ausgestiegen und zur Bushaltestelle. Dort wartete schon ein Bus Richtung Nenzing Bahnhof. Meine Assistentin hat sich erkundigt, ob der Bus nach Nenzing fährt. Ich wollte einsteigen, da meinte der Busfahrer, nein das ginge mit Elektrorollstuhl nicht.

‚Ja was ist denn heute los?‘ dachte ich.

Ich habe ihn freundlich aufgeklärt, dass ich schon seit Jahren mit meinem Elektrorollstuhl die Vorarlberger Landbusse benutze und noch kein Busfahrer mir erklärt hat, das ginge nicht. Meine Assistentin hat dem Busfahrer übersetzt.
„Also gut, dann mach ich heute eine Ausnahme“, sagt der Busfahrer und klappt die Rampe aus.

Hier hätte ich wieder schreien können.

Ich bin dann nach Nenzing zum Bahnhof gekommen und von dort auf die Feier. Die war wunderschön und ich habe mich sehr gut unterhalten.

Am Abend (18:18 Uhr) machte ich mich auf den Heimweg. Ohne Assistentin diesmal, allerdings begleitete mich ein Mann bis zur Bushaltestelle am Nenzinger Bahnhof. Dort traf ich wieder den Busfahrer, der mich hergefahren hatte und habe gedacht: ‚Auweh schon wieder der! Aber egal, ich habe ihn gefragt, ob er mich wieder nach Ludesch mitnehmen wird. Da hat er geantwortet. ‚Ich fahr heute nicht mehr. Aber dich nähm ich sowieso nicht mit.‘

Ich habe dazu nichts gesagt, weil ich sprachlos war vor Ohnmacht.

Dann kam der richtige Bus nach Ludesch. Mein Begleiter stieg vorne ein und fragte diesen Busfahrer, ob er mich nach Ludesch mitnähme.
Der Busfahrer kam aus dem Bus heraus und fragte mich: ‚Wohin willst du?‘
Ich habe ihm geantwortet ‚Ich will nach Dornbirn und bin auf der Suche nach einem Bahnhof, wo ich mit meinem Rollstuhl einsteigen kann.‘
‚Wieso geht es hier nicht?‘ antwortete der Busfahrer und hat sich selbst über die Barrieren am Bahnhof Nenzing überzeugt. ‚O.K. es stimmt. Du hast recht. Hier kannst du nicht einsteigen.‘

Wir haben uns dann geeinigt, dass er mich zum Bahnhof Ludesch bringt. Mein Begleiter ist in Nenzing geblieben und die weitere Fahrt nach Dornbirn Schoren habe ich ohne besondere Vorkommnisse überstanden.

Nur die Ohnmacht hat noch länger nachgeklungen.“

Noch ein Zusatz:
Das UN-Menschenrechtskommittee hat bei der Staatenprüfung unter anderem empfohlen:
„…Der Vertragsstaat (Österreich) sollte … Anstrengungen unternehmen, um ein positives Bild von Menschen mit Behinderungen als Inhaber aller Menschenrechte, die in der Konvention anerkannt werden, zu stärken.
Der Vertragsstaat sollte außerdem, in Absprache mit Behindertenorganisationen, spezifische Maßnahmen durchführen, einschließlich bewusstseinsbildender Kampagnen, um Vorurteile zu beseitigen. …“

Reiz – Selbstbestimmt Leben ist gerne bereit bewusstseinsbildende Kampagnen zu organisieren und durchzuführen oder dabei mitzuarbeiten.

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